Blalla W. Hallmann: Abrechnung bei der Schlacht am Harmaggedon mit den Piefkes, Pofkes, Fatzkes, Raffkes, Neppkes und Schmarotskes
1982, Öl auf Bettlaken, 132 x 230 cm

Katalogvorwort zu einer Blalla-Ausstellung
in der Produzentengalerie in Hamburg 1983

Mit geblähtem Segel dem Grauen entfliehen.

Wir sitzen in der vollgestopften Atelierdachkammer über dem Brühler Kunstverein – seit einem Jahr Blallas Zuflucht und Werkstatt. Blalla hat Tee gekocht, Albinonis Adagio in den Kassettenrecorder gesteckt, plaudert nun von seinem Leben; zwischendurch schieben wir Leinwände hin und her und schaun uns die Bilder an.
Blalla, der hagere Wanderprediger aus den inneren und äußeren Wüstengebieten, Blalla, der ewige Junggeselle mit der ungebrochenen Sehnsucht nach den Frauen, Blalla, der Allerletzte, der letzte Maler, der verletzte Verletzer: Er berichtet vom Horror der fünfziger Jahre, von den Pickeln und der Körperfeindlichkeit, von Hunger und Sehnsucht nach high life, von den Fesseln der Familienbande, vom glücklichen Schonraum der Akademie, von Freunden, die er hassen lernte und Mädchen, die ihn nicht lieben konnten, vom kalifornischen Traum und vom qualvoll langen Erwachen.
Blalla erzählt lebhaft, mit Wortspielen, bildreich, voller Ironie gegen sich und die Welt, unterbrochen hie und da von Hohngelächter oder auch blitzschnell anwachsender Wut: Blalla hat zuviel erlebt, zu sehr die andere Seite gesehen. Aber er resigniert nicht,ist nicht mehr verzweifelt, er malt.
Blalla malt eine vielfigurige Welt in heftiger Farbigkeit: grell, bunt schillernd in allen Farben des Regenbogens, aber auch düster, prächtig, heraldisch. Runge und Ensor, Grünewald und Simone Martini mögen Pate gestanden haben, auch bayerische Hinterglasmalerei und Votivtafeln, Kirmesbuden und indische Reklameschilder: Farben von giftig metallischen Insekten oder schwülen Orchideen, Farben von Icecream, Neonröhren oder kalkig-sterilen Kliniken, die gleißende Prächtigkeit eitler Ordensbrüste, weißliches Fett, knackiges Rosa, blutiger Purpur, saures Gelb, bittres Orange, finsteres Schwarz, Ultramarin wie ein Elektroschock.
Sorgsam gemalt sind diese Bildtafeln und sorgfältig komponiert. Symmetrie herrscht vor, rankt sich empor wie in den Märchenillustrationen des Clemens Brentano, wie dort auch die Liebe zum Detail, der ornamentale Rhythmus. Figur reiht sich an Figur, je nach ihrer Bedeutung ins Überdimensionale aufgeblasen oder ins Winzige verkleinert. Auch dies der Ordnung mittelalterlicher Bild- und Symbolsysteme entliehen.
"Alles ist Form," sagt Blalla, Tee schlürfend, "der Inhalt ist austauschbar."
"Wirklich?"
Nein, natürlich leben diese Bilder auch aus ihrem Inhalt. Darauf verweisen schon die in die Malfläche eingewobenen Texte, lange Spruchbänder mit barocken Bildtiteln und ironisch verfremdenden Kommentaren, Hinweise auf die verschiedenen Stile zum Beispiel: Mal narr-aktiver Stil, mal mexikanischer Revolutionsstil, mal "sogenannter äußerst ästhetischer indianisch-manischer Schizostil, äußerst geschmacklos". Die zitierten Stile bleiben aber immer Blalla.
Bisweilen sind auch Figuren zur Verdeutlichung beschriftet: Nerval und Vincent, Seraphine und Artaud, Poe und Lenz. Das Kaleidoskop der Ahnen beschwört Bilderflut und Wahnsinn, Erzählfreude und Phantastik, Ornament und Leidenschaft, Blasphemie und Obszönität.
In der Tat sind das alles recht abnorme Ikonen, mit dem Schwanz gemalte Lästerungen, nichts für verklemmte Seelchen. Kirche und Kommerz wetteifern im Kacken und Wichsen – da bleibt keine der hohen, hohlen Tugenden verschont, da verspritzt Miss Babylon den rubinroten Tropfenregen ihrer Regel, Mann bescheißt sich und frißt Scheiße, und selbst die fromme Helene spendet die Satisfaction sehr direkt. Das Comic-Theater gerät zur apokalyptischen Höllenfahrt und im Himmel sind die Teufel losgelassen; Kriegsraserei, Mordlust, Quälsucht und Terror toben sich aus in bunter Prozession auf dem "Leutfresser-Weg".
Eine böse, geile, brutale und blinde Welt ist das, deren leuchtende Farbenpracht in schrillem Kontrast zu ihrer Ausweglosigkeit steht.
"Es gibt keine natürliche Verbindung unter den Denkenden, sagt der Epikur", murmelt Blalla vor sich hin – und hätte es doch so gerne anders. - Blalla der Verletzte, Blalla der Muttergeschädigte, Blalla in einer Welt, wo die reichen Herren im Frack sich gegenseitig bedienen. Blalla der Bediente, Blalla der komplizierte Einzelgänger.
Aber er ist ja nicht der Einzige und Allerletzte. Blalla ist einer der Ersten. So wie der Sendermann in Berlin ein Erster war, als er es im Kopf nicht mehr aushielt. Und Blalla ist nicht mehr nur Einstecker, Blalla ist Maler und Austeiler, ist Ent-täuschter, ist Rächer. Blalla rechnet auf seine Weise ab mit der Wegwerfgesellschaft. Er läßt sich nicht mehr am Kopf operieren. Auf seinen Bildern sind die Narren und Kinder nicht blind, aber sie sind gefesselt und werden gequält. Blalla leidet da mit, er ruft auf zur "letzten Solidarisierung in der Traurigkeit".
Blalla wehrt sich mit seinem Schwanz-Pinsel gegen Bigotterie und Ausbeutung. So raste einst der Marquis in den Tagen von Sodom gegen sich und seine verfaulende Klasse, aber bei Blalla wird das nicht so tierisch ernst, lugt an vielen Stellen Humor durch. Er läßt sich nicht mehr abspeisen mit Propaganda und Acid, sondern gräbt in den Verliesen des Vatikan die 28 verbotenen Evangelien aus.
In den letzten Monaten hat er wie ein Besessener gemalt, um "mit geblähtem Segel dem Grauen zu entfliehen". Wo jetzt viele von der Wende sprechen und sich anschicken, zur Überwinterung von Orwells Jahrzehnt in die muffig-warmen Ärsche der guten alten Zeit zu kriechen, reißt Blalla den Grauschleier der Beschwichtigungen und verlogenen Illusionen weg.
Ganz und gar nicht schmeichelhaft für uns sind seine Vexierbilder, aber wie er sie gemalt hat, das ist erfrischend, stark, umwerfend menschlich und sehr lebendig.

Albinoni's Adagio ist zum dritten Mal zu Ende, der Tee ist kalt geworden.
Jetzt trinken wir einen Schnaps und dann müssen wir uns die Bilder unbedingt nochmal anschauen.

Michael Zepter, Januar 1983